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Von wegen zuckerkrank – ein Blog über glückliches Leben, leckere Ernährung und Sport mit Typ-1-Diabetes

#DBW2015 In guten wie in schlechten Werten – Diabetes und Freunde, Partner, Angehörige

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Mit dem heutigen Thema der Diabetes Blog Woche #DBW2015 habe ich mich in diesem Frühjahr bereit intensiv beschäftigt. Da hatte ich nämlich den Auftrag, die Titelgeschichte für den Focus Diabetes zu schreiben. Thema: Diagnose Diabetes – Was Angehörige wissen müssen. Für meine Geschichte suchte ich via Facebook Fallbeispiele: Menschen, die bereit waren, mit mir darüber zu reden, wie der Diabetes ihr Familienleben oder ihre Partnerschaft beeinflusst. Zusätzlich befragte ich Diabetologen und Psychologen, die in ihren Praxen häufig mit familiären Konflikten infolge des Diabetes zu tun haben. Die Gespräche waren intensiv und gingen mir sehr nahe. Sie machten mir unter anderem auch bewusst, wie gut ich in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen aufgehoben bin – auch mit meinem Diabetes. Ich habe diese Geschichte bislang noch nicht auf meinem Blog veröffentlicht und finde, das heutige DBW-Thema ist eine gute Gelegenheit, dies nachzuholen.

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In guten wie in schlechten Werten

Wenn ein nahestehender Mensch an Diabetes erkrankt, ändert sich das Leben des Partners radikal mit. Was Familie und Freunde wissen müssen

Heiligabend unter dem Infusionsständer statt unter dem Tannenbaum, so sah das Weihnachtsfest für Familie Wulf aus Schwentinental bei Kiel vor zwei Jahren aus. Die vierjährige Laureen, die mit 18 Monaten an Typ-1-Diabetes erkrankte, behielt keine Nahrung bei sich. Der frisch gesetzte CGM-Sensor funktionierte noch nicht zuverlässig. Laureens Eltern maßen engmaschig den Blutzucker und schalteten die Insulinpumpe ab. Trotzdem sank der Wert rasend schnell auf 42 mg/dl. Laureen verlor das Bewusstsein. Vater Norbert blieb bei der Kleinen, Mutter Petra rief den Rettungswagen und verabreichte ihrer Tochter dann die Glukagon-Notfallspritze. Sie erinnert sich: „Wir haben diesen Notfall cool und wie im Lehrbuch gemanagt, aber im Krankenhaus bin ich zusammengebrochen und habe geheult. Ich hatte solche Angst, dass ich einen Fehler gemacht haben könnte.“ Seither sind niedrige Glukosewerte Petras größte Sorge. Das zehrt an den Nerven: „Manchmal vermissen wir die Zeit, in der wir selbst unseren Alltag bestimmt haben und nicht der Diabetes“, sagt die 41-Jährige.

Familie Wulf ist kein Einzelfall. Die Diabetes-Diagnose ändert das Leben des Patienten wie auch der engsten Vertrauten. Erst sei wenigen Jahren interessieren Wissenschaftler sich für das soziale Umfeld von Diabetikern. Bahnbrechend war die so genannte DAWN2-Studie. Durch Befragungen in 17 Ländern und vier Kontinenten konnten die Forscher erstmals belegen, dass nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch knapp die Hälfte ihrer Partner, Familien und Freunde den Diabetes als große Belastung empfinden. „Vor allem vor einer Unterzuckerung haben Angehörige oft weit mehr Angst als die Diabetiker selbst“, erklärt Bernhard Kulzer. Der Psychologe am Diabetes Zentrum Bad Mergentheim hat an der Studie mitgearbeitet und staunt über ihre deutlichen Ergebnisse: So gaben zwei von drei Angehörigen an, große Angst vor Unterzuckerungen zu haben. Vor allem nachts war ihnen der Blutzuckerverlauf nicht geheuer. Manche Familienmitglieder stehen mehrmals pro Nacht auf, um bei ihrem Partner oder Kind den Blutzucker zu messen und im Ernstfall schnell reagieren zu können.

Petra Wulf hat seit der Typ-1-Diagnose ihrer Jüngsten kaum eine Nacht durchgeschlafen: „Das CGM-Gerät liegt neben meinem Bett. Wenn es Alarm schlägt, schaue ich nach Laureen, messe ihren Blutzucker und korrigiere den Wert.“ Der Schlafentzug strapaziert die Norddeutsche, die sich in ihrer Freizeit auch noch in der Feuerwehr engagiert. Die Nerven liegen oft blank. Im vergangenen Jahr schlitterte die zweifache Mutter in einen Burnout. Drei Wochen verbrachte sie in einer Klinik.

Auch Geschwister bekommen es zu spüren, wenn sich plötzlich alles um den Diabetes dreht – der Alltag, die Freizeit, die Ernährung, die Zukunftsplanung. Diabetes wird zur „Familienkrankheit“. Laureens 14-jährige Schwester Janine kann davon ein Lied singen: „Seit Laureen Diabetes hat, hat Mama viel weniger Zeit für mich und ist öfter schlecht gelaunt.“ Ganz schlimm fand sie ihren elften Geburtstag. Es sollte ihr Tag werden. „Aber dann ist Laureen heftig unterzuckert und stand natürlich wieder im Mittelpunkt“, erzählt das Mädchen achselzuckend.

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Mutter Petra ist sich des Problems bewusst. „Früher habe ich mir einen Nachmittag nur mit ihr genommen“, sagt sie. „Leider schaffe ich das heute nicht mehr.“ Über die Jahre hat auch die Partnerschaft der Eltern gelitten. Ehemann Norbert erzählt: „Wenn einer von uns den anderen aus der Arbeit anruft, fragt er nicht ‚Wie geht es dir?’, sondern zuerst ‚Wie ist der Blutzuckerwert?’ Es gibt kaum noch andere Gesprächsthemen.“ Der Teufelskreis aus ständiger Sorge, Verantwortungsgefühl und Erwartungen ging an der Beziehung nicht spurlos vorbei. Interessiertes Nachfragen, Zärtlichkeit – vieles stand hinter dem Diabetes zurück. Seit Laureens Diagnose vor viereinhalb Jahren seien er und seine Frau nur zweimal abends alleine ausgegangen, erzählt der 34-Jährige Supermarkt-Filialleiter. Nicht genug, um eine glückliche Beziehung zu pflegen. „Wir haben uns als Paar aus den Augen verloren“, sagt er resigniert. Vor kurzem beschlossen die beiden einvernehmlich, getrennte Wege zu gehen.

Was sie anderen Paaren raten würden, damit sie nicht in dieselbe Sackgasse geraten? .„Es hilft, enge Freunde oder Verwandte in der Nähe zu haben, denen man das Kind anvertrauen mag und die einen bei Bedarf entlasten“, empfiehlt Norbert. „Uns fehlten Freiräume für uns selbst.“ Psychologen bestätigen das, warnen aber gleichzeitig davor, allein den Diabetes für familiäre Konflikte verantwortlich zu machen: „Häufig verstärkt eine chronische Erkrankung Partnerschaftsprobleme, die unterschwellig schon vorher da waren“, sagt Klaus-Martin Rölver, Psychodiabetologe vom Diabetes Zentrum Quakenbrück. Er ist auf die Behandlung von Diabetikern und ihren Angehörigen spezialisiert. „Die Erkrankung eines Familienmitglieds wird dann zur Bühne und wirkt wie ein Brennglas für Probleme.“ Doch er hat auch eine gute Nachricht: „Es gibt 1001 Partnerschaftsstile, mit dem Diabetes umzugehen.“ Partnerschaftsklima und Kommunikationsrituale spielten eine große Rolle. Rölver weiß: „Familien und Paare, die einen verständnisvollen, wertschätzenden und empathischen Umgang pflegen, kann der Diabetes sogar enger zusammenschweißen.“

So ging es Anne Thiel mit ihrem Lebensgefährten. Die beiden leben in Wedemark bei Hannover. Als bei Michael Geske vor zehn Jahren Typ-2-Diabetes festgestellt wurde, kaufte Anne sofort Bücher, studierte Kohlenhydrat-Tabellen und meldete sie beide bei einer Schulung an. „Ohne mich wäre Michael gar nicht hingegangen“, lacht die 40-Jährige. In der Gruppe standen sie als Exoten dar: „Es war wohl ungewöhnlich, dass eine Angehörige mitkommt“, berichtet Anne. „Weil ich mich so reingekniet habe, wurden wir gefragt, wer von uns beiden eigentlich den Diabetes hat.“ Auch heute sieht sie sich als den Diabetesmanager in ihrer Partnerschaft. „Man muss sich zusammensetzen und darüber sprechen, was man sich wünscht und voneinander erwartet. Und dann realistische Rollen finden“, sagt Anne. Also kocht sie, berechnet die Kohlenhydrate und sage Michael, wie viel Insulin er dafür spritzen muss.

Der 50-Jährige, der seine Lebensgefährtin in ihrer privaten Kinder-Sprachschule unterstützt, ist mit der Arbeitsteilung zufrieden: „Ich koche nicht und habe mich deshalb nie mit dem Berechnen von Kohlenhydraten beschäftigt. Ich freue mich, dass Anne diesen Part übernimmt. Wenn ich allein bin, schätze ich Pi mal Daumen und spritze entsprechend, das funktioniert ganz gut.“ Nur gegen Annes Appelle, sich mehr zu bewegen und weniger zu rauchen, ist Michael immun: „Sie hat ja Recht. Aber ich habe keine Lust, das alles umzusetzen. Ich messe regelmäßig meinen Blutzucker, nehme alle Termine beim Diabetologen und alle Vorsorgeuntersuchungen wahr. Das muss reichen.“

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Doch was können Angehörige tun, damit ihr Familienmitglied mit Diabetes sich häufiger aufs Fahrrad schwingt, beim Spazierengehen seine Ausdauer stärkt und die Zigaretten weglässt? Viele Menschen gewöhnen sich gesunde Verhaltensweisen leichter an, wenn sie das Ziel gemeinsam mit ihrer besseren Hälfte angehen. Zu diesem Schluss kamen Gesundheitsforscher vom University College London in einer Studie, bei der sie die Gewohnheiten älterer Paaren unter die Lupe nahmen. Die Chancen, dass sie tatsächlich abnahmen, mehr Sport trieben und mit dem Rauchen aufhörten, standen am höchsten, wenn beide Partner eine ungesunde Angewohnheit hatten und die Verhaltensänderung gemeinsam durchzogen.

Wer es schafft, seinen diabeteskranken Partner zu einem gesunden Lebensstil zu motivieren, schützt seine eigene Gesundheit also gleich mit. Andernfalls haben auch Angehörige ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Einschränkungen, wie eine Analyse mehrerer Studien rund um den Globus bestätigt. Die Forscher der McGill University aus Kanada fanden heraus, dass jeder vierte Partner im Laufe der Zeit so wie sein Lebensgefährte an Typ-2-Diabetes erkrankt. Als Grund vermuten die Experten, dass sich im Laufe einer festen Beziehung viele Gewohnheiten angleichen – die guten ebenso wie solche, die den Diabetes begünstigen.

Der Grat zwischen Fürsorge und Bevormundung ist allerdings schmal. Der Diabetologe Jens Kröger aus Hamburg findet ein Engagement wie das von Michaels Lebensgefährtin Anne einerseits vorbildlich. „Es sind sonst fast ausschließlich Eltern, die mit in die Praxis oder eine Schulung kommen. Bei älteren Typ-1-Patienten kommt nur selten jemand mit. Und bei Typ-2-Diabetikern eigentlich erst dann, wenn es zu Zwischenfällen oder Folgeerkrankungen gekommen ist.“ Aber zugleich weist der Mediziner darauf hin, dass primär der Patient selbst geschult werden muss. „Insbesondere Männer klinken sich gern aus der Schulung aus, wenn ihre Frau das Zuhören übernimmt“, berichtet Kröger. Er schult Angehörige daher lieber getrennt von den Patienten. Sein Rat: „Unterstützen Sie den Angehörigen darin, Selbstverantwortung zu übernehmen.“ Und nehmen Sie es nicht persönlich, wenn es nicht klappt.

In den ersten Jahren war Anne oft frustriert, dass ihr Lebensgefährte sich nicht selbst aktiv bemühte. Inzwischen weiß sie, dass Gängelei nichts bringt und reagiert gelassener. „Ich trage meinen Teil dazu bei: Ich kaufe gesunde Lebensmittel, koche jeden Tag frisch, erinnere ihn, sich mehr zu bewegen – so, wie ich unsere vierjährige Tochter daran erinnere, ihr Zimmer aufzuräumen.“ Mehr Unterstützung könne sie nicht bieten. Ihre Erkenntnis: „Das ist in erster Linie seine Erkrankung. Um die muss er sich selbst kümmern.“

Es erfordert Zeit und Unterstützung, damit Diabetiker und Angehörige gemeinsam einen Weg finden, mit der Erkrankung zu leben. Leider kommt das Umfeld in der Therapie bisher zu kurz. Erst in den neuesten Schulungsprogrammen, die von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, sind eineinhalb Stunden Schulung für Angehörige vorgesehen. „Das ist immer noch viel zu wenig“, kritisiert Psychologe Kulzer aus Bad Mergentheim. „Es gibt zwar inzwischen konkrete Konzepte für mehr Angehörigenschulungen. Doch vier Jahre kann es noch dauern, bis sie tatsächlich umgesetzt und von den Kassen finanziert werden.“ Der Experte plädiert ebenfalls für separate Schulungen: „Familienmitglieder müssen im geschützten Raum auch einmal Dampf ablassen und Dinge sagen können, die sie in Gegenwart des Partners nicht aussprechen möchten.“

Vor allem Unterzuckerungen sind für viele Angehörigen ein heikles Thema. Manche Diabetiker irritieren ihr Umfeld mit einem plötzlichen Stimmungsumschwung, andere bemerken den Notfall erst später als ihre Angehörigen. Und empfinden deren berechtigte Sorge dann schnell als Bevormundung. Rölver, der Psychodiabetologe aus Quakenbrück, empfiehlt Geduld und Verständnis: „Machen Sie sich klar, dass das Gehirn unter Zuckermangel nur eingeschränkt funktioniert.“ Sein Rat: „Vereinbaren Sie ganz konkret, wie sich der Angehörige bei einer Unterzuckerung verhalten soll. Zum Beispiel, indem Sie festlegen, dass Sie ohne große Worte einfach ein Glas Cola hinstellen oder Traubenzucker anreichen.“

Nicht jeder Diabetiker kann das zulassen. Als Jakob Schulze vor zwölf Jahren Viola Zucker kennenlernte, ignorierte das Mädchen ihren Typ-1-Diabetes nach Kräften. Die 17-Jährige und ihre Eltern hatten es mit der Erkrankung nicht leicht. „Meine Mutter schimpfte bei hohen Worten mit mir, statt mich aufzumuntern und zu unterstützen.“ Viola, die im Alter von elf Jahren ihre Diagnose erhielt, sagt heute versöhnlich: „Meine Mutter wusste es einfach nicht besser.“

Psychologen beschreiben es als „defizitorientierte Kommunikation“, wenn Angehörige mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen auf Pannen wie schlechte Blutzuckerwerte reagieren. Diabetiker verwenden eher den vielsagenden Begriff „Diabetes-Polizei“. Gerade Teenager missverstehen Sorge als Kontrolle und wehren sich gegen Vorwürfe. Wenn Jugendliche sich abgrenzen und abnabeln wollen, gelingt es in der Familie oft nicht, eine gesunde Balance zwischen Loslassen und Kontrolle zu wahren.

Die Fachpsychologin Diabetes Eva Küstner vom Diabeteszentrum Offenbach rät Eltern: „Erklären Sie Ihrem Kind, dass es keine persönliche Kritik ist, wenn Sie hohe Blutzuckerwerte ansprechen.“ Kinder und Jugendliche bräuchten klare Regeln – etwa dass sie ein Blutzuckertagebuch führen müssen. „Doch Eltern sollten ihre Kinder nicht bewerten, wenn die Werte einmal aus dem Ruder laufen“, meint Eva Küstner. „Schließlich schlägt der Blutzucker bei Kindern in der Pubertät auch wegen der hormonellen Umstellung häufiger Kapriolen. Da ist also noch ein anderer Schuldiger im Spiel. Das zu wissen, kann sehr entlastend sein.“

Violas Eltern ging es wie vielen, die durch die Kombination aus Diabetes und Pubertät überfordert sind: Ihre Tochter sträubte sich gegen das Messen und fälschte ihr Blutzuckertagebuch, um der Konfrontation zu entgehen. Insulin spritzte sie nur nach Gefühl. „Ich wollte nicht wahrhaben, dass der Diabetes ein Teil von mir ist“, sagt Viola. „Ich mochte nicht, dass das Blutzuckermessen meinen Alltag unterbricht und mir immer wieder in Erinnerung ruft, dass ich nicht so wie die anderen bin.“

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Ihr Freund Jakob kennt Viola von Kindesbeinen an und wusste über ihre Erkrankung von Anfang an Bescheid. Frisch mit ihr zusammen, ignorierte er ihren Diabetes ebenso wie seine Freundin selbst. „Viola reagierte immer so genervt, wenn ihre Mutter sie zum Messen ermahnte. Die Rolle wollte ich nicht übernehmen“, erzählt der heutige 29-Jährige. Das änderte sich, als Viola an einem Tag in rauen Mengen gezuckerten Eistee getrunken hatte. Jakob erinnert sich: „ Wir waren mit Freunden im Auto unterwegs und saßen auf der Rückbank, als Viola bewusstlos wurde. Ihr Blutzuckermessgerät zeigte nur noch HI an.“ Hyperglykämie – die Fahrt endete im Krankenhaus, wo Viola erst einmal an den Insulintropf kam. „Das war zwar nicht der entscheidende Wendepunkt. Aber ab dem Moment habe ich mehr für Violas Diabetes interessiert“, sagt Jakob.

Er und Viola waren noch sehr jung, als sie ein Paar wurden. „Mit 17 denkt man in Beziehungsfragen nicht so langfristig“, meint Jakob. Doch aus der Jugendliebe wurde ein gemeinsames Leben. „Mir wurde klar, dass ich mit Viola vielleicht keine Zukunft mit Heirat und Familie haben kann, wenn sie ihren Diabetes so schleifen lässt.“ Jakob ließ nicht locker. Es war ein langer Prozess. Viola musste lernen, ihre Erkrankung zu akzeptieren und gemeinsam mit Jakob anzupacken.

Heute sprechen die beiden regelmäßig über den Umgang mit dem Diabetes. „Wir versuchen, unsere Wünsche und Erwartungen aneinander klar auszusprechen. Probleme totzuschweigen bringt nichts“, erklärt Viola, die nach ihrem Informationsmanagement-Studium in einer Bibliothek arbeiten möchte. Gemeinsam achten sie darauf, dass Viola regelmäßig Pennadeln und Lanzetten wechselt. Das Studieren von Nährwerttabellen und das Abwiegen von Nudeln beim Kochen sind beiden in Fleisch und Blut übergegangen. „Manchmal spielen wir zusammen KE-Schätzen und Bolusrechnen.“ Vor einer Weile war Jakob erstmals mit beim Diabetologen. „Ich bin ja quasi selbst betroffen, ein passiver Diabetiker“, sagt der Mathe- und Physikstudent mit den langen Haaren. „Der Diabetes zeigt einem sehr deutlich, was diese Phrase ‚In guten wie in schlechten Tagen’ bedeutet.“

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Notfall Hypoglykämie: Was können Angehörige tun?

Warum ist eine Unterzuckerung gefährlich?

Bei einer Unterzuckerung sinkt der Blutzuckerspiegel unter 50 mg/dl. Die Versorgung von Gehirn- und Nervenzellen ist dann in Gefahr. Wenn nicht schnell von außen Glukose zugeführt wird, drohen Bewusstlosigkeit und schlimmstenfalls der Tod. Besonders das Gehirn nimmt Unterzuckerungen übel: Bereits zwei schwere Hypoglykämien im Laufe des Lebens erhöhen das Risiko für Demenz. Aber auch das Herz nimmt Schaden: So ist in den zwei Wochen nach einer Hypoglykämie auch das Risiko eines Herzinfarktes um zwei Drittel erhöht.

Was passiert bei einer Unterzuckerung im Körper?

Der Körper reagiert auf eine sich anbahnende Unterzuckerung mit der Ausschüttung verschiedener Stresshormone. Diese führen zu den typischen Symptomen für eine Hypoglykämie (siehe unten). Der Schwellenwert, ab dem diese Reaktion einsetzt und Symptome einer Hypoglykämie auftreten, ist von Diabetiker zu Diabetiker unterschiedlich.

Woran erkennen Außenstehende eine Unterzuckerung?

Das Absinken des Blutzuckerspiegels unter den individuellen Schwellenwert (Hypoglykämie) äußert sich nicht bei jedem Diabetiker mit den gleichen Anzeichen. Bei folgenden Symptomen sollten Angehörige aber aufpassen: Starkes Schwitzen, blasse Gesichtsfarbe, Zittern, unkoordinierte Bewegungen, unerklärliche Aggression, undeutliche Sprache, ungewöhnliches und an Betrunkenheit erinnerndes Verhalten.

Was sollte ich als Angehöriger bei einer Unterzuckerung tun?

Bei einer leichten Unterzuckerung kann sich der Diabetiker in der Regel selbst helfen, indem er schnell verfügbare Kohlenhydrate in Form von Traubenzucker, Saft, Cola, Gummibärchen oder spezielle Hypohelfer wie Glukose-Gels zu sich nimmt. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihr Familienmitglied möglicherweise eine Unterzuckerung selbst nicht bemerkt, können Sie ihn bitten, den Blutzucker zu messen und ihm seinen bevorzugten Hypohelfer reichen.

Bei einer mittelschweren Unterzuckerung kann das Bewusstsein getrübt sein, so dass der Diabetiker selbst nicht immer in der Lage ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Manch ein Diabetiker sagt in einer solchen Situation Dinge, die er nicht so meint und die ihm später Leid tun. Versuchen Sie, das Gesagte nicht persönlich zu nehmen. Vor allem aber lassen Sie ihn in dieser Situation auf keinen Fall allein und versuchen Sie, ihn zur Aufnahme von Glukose zu bewegen.

Ist Ihr Angehöriger wegen einer schweren Unterzuckerung bereits bewusstlos, sollten Sie auf keinen Fall versuchen, ihm oral Glukose zu verabreichen. Bei bewusstlosen Patienten funktioniert der Schluckreflex nicht, so dass sie an Traubenzucker, Saft oder auch dem eigenen Speichel ersticken können. In diesen Fällen bitte umgehend einen Rettungswagen (Notrufnummer 112) verständigen, den Patienten in eine stabile Seitenlage bringen und bis zum Eintreffen des Notarztes die Vitalfunktionen (Atmung, Puls) kontrollieren. Wer ein Glukagon-Notfallset im Haus hat und im Umgang damit geschult ist, sollte die Notfallspritze (s.u.) an diesem Punkt einsetzen. Wichtig: Falls Sie Ihrem Angehörigen Glukagon spritzen, informieren Sie unbedingt die Rettungskräfte darüber.

Wofür ist das Glukagon-Notfallset gedacht?

Das Glukagon-Notfallset („GlucaGen-Kit“) ist eine Notfallspritze, mit der dem schwer unterzuckerten Patienten das Stoffwechselhormon Glukagon injiziert wird. Glukagon führt als Gegenspieler von Insulin zur Ausschüttung von Glukosereserven aus der Leber. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel rasch wieder an. Ein Notfallset besteht aus einer Einmalspritze, Glukagon in Pulverform und Lösungsmittel. Vor der Injektion wird das Lösungsmittel aufgezogen und dann in das Pulver gespritzt. Die beiden Substanzen werden durch Schütteln gemischt, in die Spritze aufgezogen und dann injiziert. Wer das noch nie zuvor als „Trockenübung“ gemacht hat, eine Spritzenphobie hat oder sich unsicher in der Handhabung, sollte im Zweifelsfall lieber die Finger davon lassen und auf den Notarzt warten.

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Diabetes-Schulungen: Ein paar Stunden Zeit auch für die Angehörigen

Die DAWN2-Studie hat gezeigt, dass 78 Prozent der Angehörigen gern an Diabetes-Schulungen teilnehmen würden. Doch nur 27 Prozent von ihnen erhalten hierzu die Gelegenheit. Meist werden in diabetologischen Praxen nur die Betroffenen selbst zu Schulungen eingeladen – Angehörige können aber durchaus nachfragen und dann zu einzelnen Terminen mitkommen. Zwar gibt es in Deutschland noch keine eigenen Schulungen für die Angehörigen von Menschen mit Diabetes, enthalten einige der gängigen Schulungsprogramme immerhin ein paar Stunden, die allein für die Angehörigen reserviert sind.

PRIMAS-Schulung für Menschen mit Typ-1-Diabetes: In dieser etablierten Schulung gibt es seit wenigen Monaten ein neues Modul mit dem Titel „Diabetes und Partnerschaft“, das Patienten und ihren Angehörigen dabei helfen soll, über den Stellenwert der Diabetes in der Partnerschaft zu sprechen und ihre jeweiligen Wünsche und Erwartungen offener zu artikulieren.

MEDIAS2-ICT-Schulung für Menschen mit Typ-2-Diabetes, die auf eine Insulintherapie eingestellt werden. Hier ist eine Einheit von 1,5 Stunden für die separate Schulung von Angehörigen vorgesehen.

HyPOS-Schulungsprogramm zur besseren Wahrnehmung von Unterzuckerungen für Menschen mit Diabetes, die Hypoglykämien nicht zuverlässig selbst spüren. Auch hier sind einzelne Schulungsabschnitte für Angehörige vorgesehen.

DELFIN ist seit diesen Mai ein neues Schulungsprogramm für Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes. In Gruppensitzungen mit bis zu sechs Elternpaaren werden Erziehungs- und Kommunikationsstrategien vermittelt und mögliche Familienkonflikte thematisiert.

Eine Übersicht über DDG-zertifizierte Schulungsprogramme finden Sie hier. Weitere Quellen sind z. B.: www.diabetes-schulungsprogramme.de, www.patientenschulungsprogramme.de

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Hier finden Angehörige Hilfe und Unterstützung im Internet

www.diabetes-kids.de: Private Initiative, kostenloses Forum und die größte virtuelle deutschsprachige Selbsthilfegruppe für Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus und ihre Angehörigen.

www.facebook.com/groups/TypeF/: Facebook-Gruppe speziell für den Austausch von Angehörigen von Diabetikern (die sich neuerdings häufig als „Diabetes Typ F“ bezeichnen).

www.second-hand-diabetes.de: In diesem Blog schreibt Manuela Vollmer, Lebensgefährtin eines Typ-1-Diabetikers, über ihre Erfahrungen und Erlebnisse als Angehörige.

www.kindermittyp1diabetes.wordpress.com: Hier bloggen mehrere Mütter von Kindern mit Typ-1-Diabetes über ihren Alltag, auch Gastautoren kommen zu Wort.

www.diabetesde.org: Hier kommen in Experten-Chats gelegentlich auch Themen rund um Diabetes und Partnerschaft/Familie zur Sprache.

www.diabetes-psychologie.de: Auf der Seite der DDG-Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie kann man unter anderem nach Therapeuten suchen, die sich auf Familien- und Paartherapie bei Diabetes spezialisiert haben.

www.stiftung-dianino.de: Die Stiftung hilft jungen Patienten mit Typ-1-Diabetes und ihren Eltern, unter anderem mit der Vermittlung von kostenlosen Diabetes-Nannies.

3 Kommentare zu “#DBW2015 In guten wie in schlechten Werten – Diabetes und Freunde, Partner, Angehörige

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